Rollstuhlfahrer arbeitet

Leben und Arbeiten mit Behinderung

Selbstbestimmtes Leben

für alle

„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ 

Dieser Satz wurde im Jahr 1994 in Artikel 3 des Grundgesetzes aufgenommen. Durch verschiedene Gesetze und Maßnahmen sollen Ungleichbehandlungen abgebaut werden. Ziel ist, dass Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt leben können. Deutschland hat das Übereinkommen und das Protokoll am 30. März 2007 unterzeichnet. Das Ratifikationsgesetz wurde im Dezember 2008 von Bundestag und Bundesrat verabschiedet und ist am 01. Januar 2009 in Kraft getreten.

Inklusion als internationales Ziel

Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) ist in Deutschland geltendes Recht und setzt sich für eine Beseitigung der Benachteiligung von Menschen mit
Behinderungen ein. Die UN-BRK fordert eine umfassende Inklusion, also die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben. 191 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen haben sich bislang zur Behindertenrechtskonvention bekannt.

Mittendrin im Leben

Verschiedene Hinder­nisse können dazu führen, dass Menschen mit lang­fristigen gesund­heitlichen Beeinträchtigungen nicht so selbstbestimmt wie andere Menschen leben, wohnen und arbeiten können. Diese Hindernisse werden auch Barrieren genannt. Sie können in Gebäuden und Verkehrs­mitteln auftreten.

Auch Webseiten können Barrieren enthalten. Sie sind dann zum Beispiel nicht für blinde Menschen nutzbar. Ebenso können die Einstellungen von Menschen zum Hindernis werden, wenn beispielsweise das Personalmanagement denkt, dass Menschen mit Behinderungen generell keine gute oder weniger Arbeit leisten können. Es ist wichtig, Barrieren abzubauen, damit Menschen mit körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnes­beeinträchtigungen ganz selbst­verständlich überall dabei sein können. Dieses Dabeisein und Mitmachen in allen Lebens­situationen heißt Teilhabe.

Menschen mit Behinderungen können bei Bedarf Sach-, Dienst- oder Geldleistungen erhalten, die ihnen Teilhabe ermöglichen. Ob eine medizinische Reha, ein Hilfsmittel oder die Neugestaltung des Arbeitsplatzes – was zählt, ist, dass die Unterstützung passgenau ist und ein eigenständiges Leben ermöglicht. Menschen mit Behinderungen können auch selbst organisieren, was sie brauchen. Dafür gibt es das sogenannte Persönliche Budget.

Etwa 7,9 Millionen Menschen mit einer Schwerbehinderung leben in Deutschland. Das sind etwa 9,3 Prozent der Bevölkerung. Von einer Schwerbehinderung spricht man, wenn von der zuständigen Behörde eingeschätzt wird, dass eine Person besonders schwerwiegende Probleme bei der Teilhabe hat. Ursache sind in 91 Prozent der Fälle Krankheiten, die im Laufe des Lebens auftreten. In nur drei Prozent der Fälle ist die Ursache einer Schwerbehinderung angeboren.

Quelle: Der Arbeitsmarkt in Deutschland 2020, Bundesagentur für Arbeit, Datenstand Juni 2021

Der Arbeitsplatz

muss passen

Von den rund 3 Millionen schwerbehinderten Menschen im Alter von 15 bis 65 Jahren ist etwa die Hälfte erwerbstätig. Zum Vergleich: In der gesamten Bevölkerung sind es drei von vier Personen. Damit ist die sogenannte Erwerbsquote von Menschen mit Schwerbehinderung niedriger als die Erwerbsquote der Bevölkerung insgesamt.

Durch verschiedene Möglichkeiten der Unterstützung für Arbeitgeber und Beschäftigte ist die Zahl der schwerbehinderten Beschäftigten in den letzten Jahren aber gestiegen. Eine Anpassung der Arbeitsbedingungen an die Bedürfnisse der Beschäftigten ist zum Beispiel durch technische Arbeitshilfen oder durch die Gestaltung der Arbeitszeit und Arbeitsorganisation möglich. So können beispielsweise die Aufgaben in einem Team so verteilt werden, dass alle Beteiligten die eigenen Stärken einbringen können..

Die Mehrheit der schwerbehinderten Beschäftigten arbeitet auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Davon sind mehr als zwei Drittel bei privaten Unternehmen tätig und knapp ein Drittel im öffentlichen Dienst. Auch für Schulabgängerinnen und Schulabgänger mit Behinderungen gibt es bei Bedarf verschiedene Hilfen, damit sie eine Berufsausbildung oder ein Studium erfolgreich abschließen können.

Unternehmen in der Pflicht

Arbeitgeber mit mindestens 20 Arbeitsplätzen sind gesetzlich verpflichtet, eine bestimmte Anzahl ihrer Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen. Wird diese Beschäftigungspflicht nicht oder nicht vollständig erfüllt, müssen sie für jeden nicht besetzten Pflichtarbeitsplatz eine Ausgleichsabgabe zahlen. So will der Gesetzgeber einen Beschäftigungsanreiz setzen. Einige Behindertenverbände und Gewerkschaften finden die Abgabe grundsätzlich zu niedrig. Ihr Vorwurf: Firmen können sich zu leicht von der Verpflichtung „freikaufen“, schwerbehinderte Menschen einzustellen. Seit 2024 müssen allerdings Arbeitgeber, die keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen, eine deutlich höhere Ausgleichsabgabe zahlen.

Die Schwerbehindertenvertretung vertritt die Interessen der schwerbehinderten Beschäftigten im Unternehmen und achtet darauf, dass Arbeitgeber ihren gesetzlichen Pflichten nachkommen. Hierzu gehört zum Beispiel die Überwachung der Beschäftigungspflicht. Arbeitgeber bestimmen außerdem Inklusionsbeauftragte, die sie bei ihren Aufgaben unterstützen. Die Schwerbehindertenvertretung wird hingegen von den schwerbehinderten Beschäftigten selbst gewählt.

Die Mehrheit muss zahlen

Quelle: Bundesagentur für Arbeit: 2021 Datenstand: Dezember 2019

„Viele Leute nehmen einen nicht für voll“

Der Inklusions­beauftragte Drees Ringert (*1988) arbeitete erstmals 2008 für das Wacken-Open-Air. Das Heavy-Metal-Festival in Schleswig-Holstein war 2019 mit 75.000 Tickets zum 13. Mal in Folge ausverkauft. 

Drees, du bist beim Veranstalter des Heavy-Metal-Festivals in Wacken nicht nur für das Sponsoring zuständig, sondern bist auch Inklusions­beauftragter und sitzt selbst dauerhaft im Roll­stuhl. Wie kam es dazu?

Ich wurde 2015 für den Bereich Sponsoring angestellt. Nach meinem Verkehrs­unfall ein paar Monate später war es allerdings zeitlich nicht mehr möglich, diese Aufgabe allein zu bewerk­stelligen. Deshalb haben wir inzwischen ein Team, das sich um unsere Sponsoren kümmert. Der Job als Inklusions­beauftragter hat sich so mit der Zeit ergeben, da ich durch meine Behinderung selbst ein gutes Auge für Barrieren aller Art bekommen habe. Das ist sozusagen mein zweiter Job in der Firma.

Spürst du einen Unterschied in der Art, wie du von Geschäfts­partnern vor und nach deinem Unfall behandelt wurdest? 

In der Berufs­welt weniger. Die meisten Kontakte entstehen erstmal per E-Mail oder per Telefon, sodass die Leute im Vorfeld gar nicht wissen, dass ich im Rollstuhl sitze. Im Nach­hinein spielt das dann auch keine Rolle. Im Alltag ist es anders. Da muss man sich öfter behaupten, um respektiert zu werden. Viele Leute nehmen einen nicht für voll. Da muss man immer wieder Stärke zeigen.

Das Wacken-Open-Air arbeitet außer mit dir auch mit vielen anderen Menschen mit Behinderung zusammen. Warum?

Inklusion ist bei uns kein not­wendiges Übel, sondern eine Herzens­angelegenheit. Das bezieht sich einerseits darauf, dass wir allen Fans ermöglichen möchten, an unseren Events teilzunehmen. Anderer­seits wollen wir auch jedem Menschen ermöglichen, für uns zu arbeiten, wenn er dies möchte und kann.

Welche Aufgaben übernehmen deine Kolleginnen und Kollegen mit Behinderung?

Sie arbeiten zum Beispiel im Ticket­versand oder im Lager, wo es immer wieder Pakete zu packen gibt. Außerdem beschäftigen wir auch viele Menschen mit Behinderung während des Festivals. Sie halten unsere Event­stätten und das Dorf Wacken sauber.

Aus der Werkstatt

auf den Arbeitsmarkt

Je nach Art und Schwere der Behinderung kommt nicht für jede und jeden sofort eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt infrage. Etwa 320.000 Menschen sind in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) beschäftigt.

„Eingliederung muss gut vorbereitet sein.“

Meine Aufgabe ist es, Menschen mit geistigen, körperlichen oder psychischen Behinderungen aus unseren Werk­stätten in Betriebe des allgemeinen Arbeits­marktes zu vermitteln. Das gelingt grund­sätzlich häufiger als noch vor einigen Jahren. Lange lautete das Klischee: „Einmal Werkstatt, immer Werkstatt.“ Aber das gilt nicht mehr. Arbeits­plätze finden sich typischer­weise in Industrie, Handwerk und Dienst­leistung. Die Ein­gliederung in einen Betrieb muss gut vorbereitet sein, etwa durch Beratungen mit denBeschäftigten und Arbeitsgebern. Die Anforderungen des Arbeits­platzes sollten unbedingt zu den Fähigkeiten der Mit­arbeiter*innen passen. Außerdem werden die Beschäftigten von uns weiter betreut.

Christiane Pollerberg, Leiterin des Fachbereichs Integration des Heilpädagogischen Zentrums Krefeld – Kreis Viersen:

Portrait Christiane Pollerberg